Andorn - ein Mittel gegen Giftanschläge

Interessanterweise ist der Andorn bereits seit der Antike eine der wichtigsten Arzneipflanzen Europas, wobei er heute leider nur noch bei wenigen Pflanzenkundigen im Bewusstsein weilt. Dabei hat er bereits vor 2000 Jahren als ehemalige Pflanze des Mittelmeerraums auch in Mittel- und Nordeuropa Fuß gefasst, wobei er sich vor allem auf trockenen Ton- und Lehmböden zu Hause fühlt.

 

Der Andorn, auch Weißer Dorant oder Mariennessel genannt, ist ein direkter Verwandter der Taubnesseln sowie des Herzgespanns. Der Andorn hat wie seine Verwandten einen lieblichen Duft, sticht jedoch durch seinen bitteren Geschmack hervor. Das dürfte für manch einen eine besondere Überraschung gewesen sein, zumal sich der Andorn durch seine weißfilzig behaarten Blätter und Stängel eher als eine Pflanze mit Kuschelfaktor präsentiert - wobei die Haarpracht vor allem auf der Unterseite der Blätter und am Stängel vorhanden ist.

 

In meinem Garten hat sich der Andorn zu einem ca. 80 cm hohen Strauch entwickelt, den ich im Herbst zu zwei Dritteln zurückschneide, um ihn dann im Frühjahr mit kräftigen neuen Trieben auf ein Neues willkommen zu heißen. Die weißen Blüten erscheinen meist ab Ende Mai und manchmal blüht er bis in den September hinein.

 

Der griechische Arzt Dioskurides hat vor rund 2000 Jahren in seinem umfangreichen heilkundlichen Werk ‚De materia medica‘ den Andorn bereits eingehend beschrieben: „Das Prasion, einige nennen es Eupatorion,… die Römer Marrubium,… ist ein vielzweigiger Strauch aus einer Wurzel, etwas rauhaarig, weiß, mit vierkantigen Zweigen. Das daumengleiche Blatt ist rundlich, dicklich, gerunzelt und schmeckt bitter. Der Same steht in Abständen an den Stengeln, auch die rauhaarigen Blüten stehen wie in Quirlen. Es wächst an wüsten Orten und auf Schutthaufen. Seine Blätter samt den Samen mit Wasser gekocht oder grün zu Saft ausgepreßt werden mit Honig den an Phthisis (Tuberkulose), Asthma und Husten Leidenden gegeben, mit zugemischter trockener Iris fahren sie auch den dicken Schleim aus der Brust. Sie werden auch den Frauen verordnet, denen die Reinigung fehlt, um die Menstruation und die Nachgeburt zu befördern, ebenso auch denen, die eine schwere Geburt haben, ferner denen, die von giftigen Tieren gebissen sind und die Gift geschluckt haben. Der Blase aber und den Nieren sind sie nicht zuträglich. Die Blätter mit Honig als Kataplasma (Pflaster) reinigen schmutzige Geschwüre, halten… fressende Geschwüre auf und lindern Seitenschmerzen.“

 

Zur heutigen Anwendung zeigen sich viele Parallelen: in der Apotheke gibt es den Andorn als Pflanzenpresssaft, Alkoholauszug, Sirup oder Tee zur Behandlung von Atemwegsinfektionen sowie zur Schleimlösung bei Husten. Auch zur Unterstützung der Verdauungsorgane und des Magens wird der Andorn empfohlen, auch bei Gallenbeschwerden kann er hilfreich sein.

 

Oft kommt die Frage auf, welche der Pflanzenteile man verwenden soll bzw. kann. Ich selbst bevorzuge das blühende Kraut, also die Blätter und die Blüten zur gleichen Zeit gesammelt, für die Herstellung von Alkoholauszügen und Tee. Die Blätter vor der Blüte gesammelt nehme ich für Sirup sowie Pflanzenpresssaft.

Für Schwangere und Stillende ist der Andorn jedoch nicht zu empfehlen, hier darf man z. B. auf Zitronenmelisse und Weiße Taubnessel zurückgreifen.

 

Ein besonderes ‚Schmankerl‘ ist in den Schriften von Walahfrid Strabo zu finden, ein Benediktiner, welcher im 9. Jh. lebte und sowohl sich als Dichter als auch als Botaniker einen Namen gemacht hat. Eines seiner Werke ‚Buch über die Kultivierung der Gärten‘, kurz Hortulus genannt, wird als eines der bedeutendsten botanischen Werke des Mittelalters gesehen. In diesem sind in Versform 24 Heilpflanzen aufgeführt, u. a. auch der Andorn. Hierin preist er den Andorn nicht nur als hilfreich bei ‚starken Beklemmungen der Brust‘ an, sondern auch als schnelles Mittel gegen Giftanschläge, etwa durch böse Stiefmütter: „Sollten die Stiefmütter in feindseliger Absicht Gifte zubereiten und in das Getränk mischen oder Eisenhut zum Verderben in trügerische Speisen mengen, so vertreibt ein Trank des heilkräftigen Andorn, unverzüglich eingenommen, die lebensbedrohenden Gefahren.“

 

Ich musste beim Lesen dieses Textes schmunzeln, denn wie heißt es so schön: ‚Gegen alles ist ein Kraut gewachsen‘…