Der Baldrian, ein göttliches Heilmittel

Ist Dir schon einmal jemand begegnet, der oder die sich eine Baldrian-Wurzel um den Hals gebunden hat? Vermutlich eher nicht. Was jedoch heute manchen verwundert oder gar als Spinnerei abgetan wird, war in früheren Zeiten bekannt und allgemein üblich. Denn dem Baldrian wurden verschiedenste Kräfte zugesprochen, z. B. dass er Seuchen fern halten könne und einen Schutz gegen die Pest darstelle.

 

Dass der Baldrian auch heute noch als 'all heal' verehrt wird - also ein Kraut das alles heilen kann - geht auf die Germanen zurück. Denn die Germanen sahen in der auf einem grazilen Stängel sitzenden Blüte des Baldrians ihren Gott Baldur verkörpert. Baldur, der Gott des Lichtes, der Reinheit, der Güte und der Gerechtigkeit gab auch der Pflanze ihren uns heute noch bekannten Namen. Auch als Elfenkraut machte er sich einen Namen, denn man solle mit seiner Hilfe Elfen und Nixen beobachten können, welche ihn in mondhellen Nächten umtanzen.

Weniger respektvoll dem Baldrian gegenüber zeigen sich aber auch manch andere: Katzenkraut nennen sie ihn, oder Rattenkraut, Stinkwurz und Viehkraut.

 

Aber auch durchaus Geheimnisvolles kommt bei der Suche nach seinen Namen zutage, z. B. Hexenkraut oder Theriakkraut. Als Theriak bezeichnete man eine Mixtur aus verschiedenen, besonders wirksamen Kräutern. Nur den Ärzten und Apothekern war dessen Zusammensetzung bekannt und der Theriak durfte auch nur von ihnen verkauft werden.

 

Heute kennen wir den Baldrian, genauer gesagt die Baldrianwurzel, vor allem als gutes und erprobtes Mittel zur Beruhigung der Nerven und bei Schlafstörungen. Interessant ist, dass der Baldrian eine bewegte Geschichte in Sachen Heilanwendung im Laufe der letzten Jahrhunderte erfahren hat.

 

Das älteste Zeugnis deutscher Heilpflanzen-Geschichte findet sich im Lorscher Arzneibuch aus dem 8. Jhdt., in welchem beschrieben ist, dass der Baldrian einerseits bei übermäßiger Schlaflosigkeit den entsprechenden Schlaf schenkt, aber bei Müdigkeit auch Wachheit gibt. Dies kann ich tatsächlich aus eigener Erfahrung bestätigen: so habe ich die Baldrianblüten bei Schlaflosigkeit als Tee eingenommen, bei Müdigkeit habe ich seine Blätter genascht, beides mit gutem Erfolg. Gut zweihundert Jahre später war der Baldrian vor allem bei Verdauungsbeschwerden gefragt.

 

Hildegard von Bingen sollte dann im 12. Jahrhundert den Baldrian ausschließlich für Gicht und Brustfellentzündung einsetzen - lt. ihrer Einschätzung war die Pflanze zu komplex, um sie gezielt zum Thema Wachheit bzw. Schlaflosigkeit zu verwenden. Übrigens verwendeten auch die griechischen und römischen Ärzte der Antike den Baldrian für diese Erkrankungen.

Im 15. Jahrhundert machte sich der Baldrian als Augenkraut einen Namen - diese Form der Anwendung findet man bei Maria Treben wieder, die ihn seine Wurzeln in Form von Dampfbädern bei grauem und grünem Star sowie als Tee zur Vorbeugung bei Schlaganfällen einsetzte. Auch hatte er sich in dieser Zeit als Schmerzmittel, auch bei starken Kopfschmerzen, bewährt.

Im späten 18. Jahrhundert passierte dann etwas Einmaliges: alle bisherigen Indikationen des Baldrians wurden gestrichen - fortan sollte er als beruhigende und entkrampfende Heilpflanze eingesetzt werden, ohne auf sein bisher umfangreiches Anwendungsspektrum zurückzugreifen.

 

Dass es im Laufe der Zeit bei einigen Heilpflanzen einen ‚Werteverfall‘ gegeben hat ist nicht so ungewöhnlich. Aber bei keiner anderen Pflanze ist dies so deutlich zutage getreten wie beim Baldrian. Es wäre müßig darüber zu sinnieren warum dies passiert ist.

Wir können dieses Wissen als Chance nutzen, diese wundervolle Pflanze nochmals neu und mit frischen Augen zu betrachten, mit ihm spielerisch neue Wege zu beschreiten und mit ihm eigene Erfahrungen zu machen. Denn er wurde nicht zufällig schon bei den Germanen als ‚Allheilmittel‘ verehrt, ein wahrhaft göttliches Heilmittel.