Wegwarte - begleitet uns auf unserem Weg

Ich war auf kleinen Pfaden unterwegs, welche sich durch das Naturschutzgebiet Büchelberg nahe Neuhausen/Enzkreis winden.

Diese kleinen Wege liebe ich besonders: sie erfordern meine ganze Aufmerksamkeit, da es ständig bergauf und bergab geht, die Pfade sehr schmal sind und viele dornige und bewehrte Pflanzen entlang der Wege wachsen: Wacholderbüsche, Weißdorn, Schlehen, Brombeeren und wilde Rosen.

 

Von diesen kleinen Pfaden aus führen verschiedene Wege auf ein Hochplateau, welches eine unglaubliche Ruhe und Kraft ausstrahlt. Ich ging bedächtig weiter und bewunderte den Deutschen Enzian, die Bibernelle, die Karthäusernelke und das Echte Labkraut, das ich hier das erste Mal sehen durfte. Nun kam ich zu einem größeren Weg, welcher mich anschließend zum Parkplatz zurückführen sollte - und da stand sie: sie strahlte mich mit ihren himmelblauen Augen an und ließ mich sofort innehalten. Diese Pflanze hatte ich bisher noch nicht gesehen, aber ich wusste sofort, dass es sich um die Wegwarte handelte. 

Es gibt fast kein Kräuterbuch, in welchem sie nicht beschrieben wird. Und interessanterweise nicht nur als Heilkraut, wie z. B. Leber- und Stoffwechselbeschwerden, Diabetes, Verdauungsproblemen und Kopfschmerzen. Sie machte sich bei unseren Vorfahren auch einen Namen, wenn es um Zauberei ging: vor allem im Liebeszauber soll sie schon wahre Wunder bewirkt haben! Nun denkt man natürlich bei Liebeszauber automatisch an die Liebe eines anderen Menschen. Warum aber nicht die Liebe zur Natur darin sehen? Gerade durch solche besonderen Momente, wenn man eine Pflanze das erste Mal erblickt, ist es wie ein Zauber. Man ist gefesselt, betört, entrückt - und für einen Moment der eigenen ‚kleinen‘ Welt entrissen Wir gehen ins Unbewusste, lassen einmal - zumindest für kurze Zeit - die Kontrolle los. Und schon ist es wie im Märchen, in welchen Feen und Elfen Wunder wirken. 

Für mich war diese erste Begegnung wie ein Wunder, denn ich war schon öfter auf dem Büchelberg unterwegs gewesen, hatte die Wegwarte aber noch nie gesehen. 

 

Später sollte ich Verschiedenes über die Wegwarte erfahren: dass ihre nahe Verwandte, die Wurzelzichorie, in früheren Zeiten als Kaffeeersatz diente. Noch heute gibt es den Caro Kaffee, den ich schon aus meiner Kinderzeit kenne. Denn so durfte auch ich an der Tafel der Großen sitzen und ‚Kaffee‘ trinken. 

In verschiedenen Berichten las ich, dass sie bei vielen als wirkungsvolles Mittel bei Schwermetallvergiftungen bekannt und geschätzt ist: besonders die Wurzel enthält viele Bitterstoffe und regt die Verdauung an, reinigt die Bauchspeicheldrüse und stärkt die Leberfunktion. Die Wurzel wird deshalb gerne als Teekur verabreicht. Aber natürlich lassen sich auch Blätter und Blüten zur Stärkung von Körper und Seele  verwenden.

Auch in der Bachblütentherapie begegnete sie mir, nämlich als Blüte Nr. 8 ‚Chicory‘, die Beziehungsblüte: vom kalkulierten Geben zur gelassenen Liebe. Das ist eine Qualität, welche die Natur im Übermaß besitzt: ohne Forderungen und Erwartungen zu schenken, aus vollem Herzen!

 

Nirgendwo fühle ich mich so bedingungslos angenommen und geliebt wie in der Natur. Eine Qualität, die wir Menschen für uns wiederentdecken dürfen. 

 

Etliche Jahre sind seit meiner ersten Begegnungen mit der Wegwarte nun vergangen, aber die Freude an ihrem Anblick, die Erinnerung an unser erstes Aufeinandertreffen, ist geblieben. Und vielleicht schaffen wir es gemeinsam, auch untereinander uns immer wieder neu zu begegnen, mit offenem Herzen und Freude, Neues zu erfahren und voneinander zu lernen.

 

Ich freue mich ganz besonders, dass dieses wunderschöne Kräutlein zur Heilpflanze des Jahres 2020 gekürt wurde!